Der eschatologische Lohn der Mutter Maria

■ Die heilige „Jungfrau“ „Maria“, wie diese wichtige Person der Heilsgeschichte bei der Verkündigung der Geburt Jesu im Evangelium nach Lukas offiziell eingeführt wird, wird von der katholischen Kirche und den Gläubigen über alle Jahrhunderte hindurch unter verschiedenen Titeln angesprochen und verehrt. Sie alle betonen dann einen jeweiligen Gesichtspunkt ihres Wirkens oder ihrer Bedeutung für das Heilsgeschehen.
Am häufigsten bezeichnet sie das gläubige Volk aber mit dem ihr sicher am treffendsten zukommenden Titel „Muttergottes“! Diese Bezeichnung steht ihr zweifelsohne am treffendsten zu, weil er ja das Wesen ihrer Sendung beschreibt: „Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären. Dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Allerhöchsten genannt werden. … Darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes genannt werden.“ (Lk 1,30-32.35.)
Ihr ganzes Leben ist ab diesem Zeitpunkt der Verkündigung darauf ausgerichtet worden, dass sie für ihr Kind Jesus da sein und Sorge tragen sollte. Sie hat dem Göttlichen Erlöser nicht nur das biologisch-menschliche Leben geschenkt, sondern sich als Mutter wie selbstverständlich für Ihn aufgeopfert.
Wenn wir dann im Lauf des Kirchenjahres die großen Marienfeste begehen, sehen wir im jeweiligen Festgeheimnis auch immer dieses „Für Ihn“ als das übernatürliche Ziel ihrer Sendung! Maria ist unbefleckt empfangen worden (Fest am 8. Dezember), damit sie ganzheitlich und auch ohne den geringsten Schatten der Erbschuld der Menschheit ein reiner Tempel Christi werden konnte. Am Fest Mariä Verkündigung (25. März) erfuhr sie vom Erzengel Gabriel, dass sie Mutter des Erlösers werden und Ihm somit das menschliche Leben schenken sollte. An Weihnachten (25. Dezember), welches nebenbei ja auch als ein Marienfest angesehen werden kann, hat sie Ihn dann auch entsprechend geboren.
Das Festgeheimnis von Maria Lichtmess (2. Februar) besteht ja ebenfalls nicht nur in der Tatsache der im Alten Testament vorgeschriebenen kultischen Reinigung der Mutter nach dem Gebären, sondern speziell auch in der Darbringung der männlichen Erstgeburt: „Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht werden.“ (Lk 2,24.) Also ist Maria da nach der Logik des Alten Bundes gewissermaßen für ihre Mutterschaft Jesu vorbereitet worden. So sind diese großen Marienfeste auf die eine oder andere Weise auf das heilsrelevante Wirken Jesu ausgerichtet – die Rolle Mariens im Heilsplan Gottes besteht überwiegend in dem sich jeweils verschiedentlich äußernden Für-Jesus-Sein.
So wird die Muttergottes in der christlichen Kunst in den allermeisten Fällen mit ihrem Knaben Jesus auf dem Arm abgebildet – ob auf Bildern der darstellenden Kunst, in religiös-liturgisch verehrenden Heiligenbildern/Ikonen oder in Gestalt von Statuen. Es gibt vergleichsweise wenige Marienbilder, auf welchen sie ohne Jesus dargestellt würde. Meistens würde Jesus dann vom Inhalt der Darstellung her auch nicht gut hineinpassen, so z.B. bei der Verkündigungsszene mit dem Erzengel Gabriel oder im Zusammenhang mit dem Mysterium ihrer Unbefleckten Empfängnis. Da war ja Jesus noch nicht geboren.
Generell wird aber unterstrichen, dass Maria gewissermaßen nicht für sich allein und gesondert und somit völlig unabhängig von ihrer Mutterschaft – als Mutter Jesu und somit Gottes – zu nehmen und zu betrachten ist.
■ Eine gewisse Ausnahme von dieser Regel stellt das Fest Mariä Himmelfahrt dar. Da feiern wir ja die Tatsache der Aufnahme ihres irdischen Leibes in den Himmel. Denn als Maria entschlafen ist (nicht gestorben ist, da der Tod eine der Folgen der Erbsünde ist), erhielt sie das Privileg, dass neben ihrer Seele auch ihr Leib durch einen speziellen Gnadenakt Gottes Zutritt zum Paradies erfahren durfte. Das Besondere daran ist die Tatsache, dass dies eben sofort nach ihrem irdischen Hinscheiden und somit vor dem Ende der Zeiten und dem betreffenden großen Gericht Gottes geschehen ist!
Denn nach der apostolischen Überlieferung hat sich der Apostel Thomas etwas verspätet zur Versammlung der Apostel am Grab Mariens eingefunden. Als auch er sie dann noch sehen wollte und man das Grab öffnete, sahen sie nicht den gebenedeiten Leib Mariens, sondern viele Blumen, die einen himmlisch-außergewöhnlichen Wohlgeruch entwickelten.
Bezeichnenderweise wurden danach niemals und nirgendwo klassische Reliquien der Muttergottes (ex ossibus – von Knochen!) gefunden und verehrt. Obwohl in der Kirche gerade in den ersten Jahrhunderten eine starke Reliquienverehrung von Heiligen entstand und gepflegt wurde, ist keine einzige klassische Reliquie der Muttergottes aufzufinden. Man war und ist in der katholischen Kirche der festen Überzeugung, dass mit dem Fortschreiten des Heiligungsprozesses der Heiligen neben ihrer geistigen Verklärung auch eine betreffende sehr markante Gnadenspur Gottes in ihren äußeren physischen Natur zunimmt. Wie gern hätte man schon damals in der ersten Generation der Christen die Reliquien der Mutter Jesu verehrt, die ja sogar ein einmaliger Tempel des Heiligen Geistes war und aufs allerinnigste mit Jesus verbunden war, wenn es solche gegeben hätte!
Mit der leiblichen Aufnahme Mariens ist an ihr vorzeitig in Erfüllung gegangen, was mit allen geretteten Seelen nach dem Jüngsten Gericht Gottes geschehen soll – die Teilhabe der gesamten Schöpfung (bei Menschen mit Leib und Seele) an der ewigen Herrlichkeit und unbegreiflichen Liebe Gottes! Bei Maria ist dies schon vorweggenommen worden, um zu unterstreichen, dass sie für ihr zweifelsohne außergewöhnliches Mitwirken am Heilswirken Jesu auch auf eine außergewöhnliche Weise belohnt werde!
Maria war die ersten 30 Jahre des Lebens Jesu auf Erden aufs engste mit Ihm verbunden und übte mit größter Hingabe ihre Aufgabe als Mutter Jesu und somit Gottes aus. Wieviel an geistiger Tiefe hat einerseits sie von Ihm erfahren und wieviel an Lebensweisheiten hat andererseits gerade der heranwachsende Knabe und Jüngling Jesus von Seiner Mutter vernommen bzw. von ihrer sich für Ihn aufopfernden Liebe erlebt!
Dann war sie auch während Seines öffentlichen Wirkens oft an Seiner Seite und hat mit Ihm ganz besonders den ganzen Leidensweg durchgemacht. Sie als Mutter hat da wie kein anderer Mensch mitgelitten, was ja schon der Greis Simeon bei der Darstellung Jesu im Tempel prophezeit hatte: „Siehe, dieser ist bestimmt zum Fall und zur Auferstehung vieler in Israel und zum Zeichen des Widerspruchs. – Auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen.“ (Lk 2,34f.)
Insbesondere war sie die treueste Seele, die es auch unter dem Kreuz Christi ausgehalten hatte. Er wusste ja um ihre betreffende Liebe und Treue zu Ihm und empfand dies sicherlich als einen sehr großen Trost während Seines furchtbaren Opferns für die Sünden der Menschheit. Keinem Menschen geht das Leiden anderer so zu Herzen wie einer Mutter das Leiden ihrer Kinder. Und wie Er sowohl Gott als auch Mensch war, so wurde auch ihr sonst schon stark mitfühlendes menschlich-mütterliches Wesen durch den entsprechenden Bezug zu diesem Jesus auf eine wesentliche höhere Ebene gehoben – sowohl im Hinblick auf die Sensibilität und Intensität ihres Mitleidens als auch bezüglich des Ausmaßes und der Stärke ihrer in Gott erlebten Herzensfreude!
In gewisser Weise stellt Mariä Himmelfahrt ein Fest der Belohnung der Mutter Maria für alle ihre Mühen und ihre gesamte außerordentliche Unterstützung Jesu und somit auch Seines Heilswirkens dar! Sonst galt ihre ganze Aufmerksamkeit Jesus, ihrem göttlichen Sohn. An Mariä Himmelfahrt steht nun aber sie sozusagen allein im Mittelpunkt des Heilsgeheimnisses, ohne den sonst üblichen Bezug zum Heilsgeschehen Jesu.
Und wir freuen uns, dass Maria am Fest ihrer leiblichen Aufnahme in den Himmel den Lohn aller ihrer Mühen und Opfer erhalten hat. Wir freuen uns somit herzlichst auch für unsere geistige Mutter, zu welcher Jesus sie ja am Kreuz in der Gestalt des Apostels Johannes bestellt hat: „Siehe da, deine Mutter!“ (Joh 19, 26.) Wie oft diente sie uns mit ihrem Vorbild besonders in schweren Zeiten und komplizierten Situationen als Trost, Orientierung und Aufmunterung. Wie häufig haben wir sie um ihre wirksame Fürbitte bei Jesus angerufen und verdanken dieser Vermittlertätigkeit Mariens sowohl sehr viel an Gebetserhörung als auch an Stärkung im Leid und Kreuztragen.
Wir als ihre geistigen Kinder bewundern an ihr umso mehr alle ihre Tugenden und Vorzüge auch ohne dass wir uns gleichzeitig an sie in irgendeiner Not wendeten. Nein, sie und nur sie soll nun einmal im Mittelpunkt unserer Betrachtung stehen und ob ihrer persönlichen Vollkommenheit unsere dankbare Verehrung erfahren! Wir freuen uns also allein wegen der Tatsache, dass sie die Person ist, die sie ist und die wir als unsere Mutter haben können und sie sozusagen um ihrer selbst und ihrer Stellung im Heilsplan Gottes willen verehren dürfen!
Hatte ja schon ihre Base Elisabeth ihr eine solche große Verehrung bekundet: „Sie rief mit lauter Stimme aus: ‚Du bist die Gebenedeite unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes! Woher wird mir die Gnade, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt! …. Selig bist du, da du geglaubt hast, dass in Erfüllung gehen wird, was dir vom Herrn verkündet worden ist.‘“ (Lk 1, 42-45.)
Wie oft betet ja ein frommer Katholik das großartige Gebet Ave Maria! Da haben wir ja eine wunderbare Gelegenheit, ganz bewusst auch schon die erste Hälfte dieses Gebetes zu verrichten, welches ja sogar auf den Erzengel Gabriel und die betreffende Elisabeth, die Base Mariens, zurückgeht: „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir! Du bist gebenedeit unter den Weibern!“ Halten wir kurz inne und betrachten diese gottgegebenen Privilegien Mariens, unserer Mutter (!), die ihr vom Herrn verliehen worden sind.
Zweifelsohne sind wir auch auf ihre wohl wirksamste Vermittlertätigkeit angewiesen, weshalb dieses Ave Maria ja auch entsprechend weitergeht, sie möge doch für uns, „arme Sünder“, bitten „jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.“ Aber zuerst begrüßen wir sie ehrlichen Herzens entsprechend und unterstreichen dabei mit großer Freude ihre ganzen Gnadenvorzüge, wie es sich ja für liebende Kinder ziemt! Vergessen wir dies bitte nie.
Besonders beim Denken an die Himmelfahrt Mariens soll uns bewusst werden, dass vor allem ihr wahres leibliches Kind, der Heiland Jesus Christus, für sie als Seiner Mutter in Seiner unbegrenzt-tiefen Dankbarkeit und Verehrung sozusagen ein ganz besonderes Fest veranstalten wollte, indem Er sie nämlich noch vor dem Ende aller Zeiten auch mit dem Leib in den Himmel hat auffahren lassen! Mit ihrer leiblichen Aufnahme in den Himmel erhielt sie dann aber gewissermaßen vorzeitig den eschatologischen Lohn für ihre aufopferungsvolle Mutterschaft in der Liebe Gottes! Das, was die gesamte Schöpfung am Ende der Zeiten erwartet, ist an ihr schon sehr bald nach ihrer irdischen Entschlafung geschehen, als ob es Jesus, ihr liebender Sohn, nicht erwarten konnte, ihr den Kranz der himmlischen Glorie und den Lohn ihrer grenzenlosen Liebe zu Ihm und Seinen Jüngern, ihren geistigen Kindern, zu geben!
■ Eine der Lehren, die wir aus diesem gesamten Festgeheimnis ziehen können und sollen, besteht im heilsamen Denken daran, dass auch wir eines Tages, nach unserem Tod auf Erden nämlich, vor Gott dem Richter treten und Ihm Rechenschaft für alle unsere Gedanken, Worte und Werke bzw. auch für die betreffenden sündhaften Auslassungen vom Tun des Guten werden ablegen müssen. Und beim Jüngsten Gericht wird dann nach der Lehre der Kirche gleichzeitig auch die gesamte Schöpfung vor den Richterstuhl Gottes treten, um sozusagen vor der ganzen Welt der Menschen und Engel Rede und Antwort für alles zu stehen.
Gott „will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Gerade zu diesem Zweck hat Gott Seine Liebe zu Seinem Geschöpf darin offenbart, dass Jesus Christus „sich zum Lösegeld für alle hingegeben hat“ (1 Tim 2,5). Da er uns zu nichts Geringerem als in Seine eigene Nachfolge und somit zum treuen und gewissenhaften Befolgen der göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe beruft – zum Erlangen der christlichen Vollkommenheit! –, wird es auch beim Gericht Gottes so genau zugehen.
Die Seelen aber, die sich hier auf Erden ehrlich nach Gott gesehnt und sich um die gewissenhafte Befolgung Seines Willens bemüht haben, dürfen auch auf Seine Barmherzigkeit vertrauen bzw. lebendig darauf hoffen, dass Er dann bei Gericht auch unsere zahlreichen Verfehlungen großherzig vergeben wird, wenn wir sie in der Beichte aufrichtig bekannt haben und uns um die entsprechende Besserung bemühen.
Danach, beim Jüngsten Gericht, werden auch die Leiber der Gerechten auferstehen und diese Geretteten werden mit allen Engeln und Heiligen, und eben auch zusammen mit Maria, der gebenedeiten Mutter Jesu, den ewigen Lobpreis Gottes singen! „Denn wenn der Befehlsruf ergeht, des Erzengels Stimme und Gottes Posaune erschallt, wird der Herr vom Himmel herniedersteigen. Dann werden die in Christus Verstorbenen zuerst auferstehen. Hierauf werden wir, die Überlebenden, zugleich mit jenen dem Herrn entgegen gehen und auf Wolken in die Luft entrückt werden. (Die erste Christengeneration dachte, sie werden noch zu ihren eigenen Lebzeiten die zweite Ankunft Christi und das Ende der Zeiten erleben. – Anm.) Und dann werden wir unmittelbar beim Herrn sein. Darum tröstet einander mit diesen Worten!“ (1 Thess 4,16-18.)
An einer anderen Stelle spannt der hl. Apostel Paulus folgendermaßen den Bogen von der Erlösung bis zum eschatologischen Ende, der Herrschaft Gottes: „Nun aber ist Christus von den Toten auferstanden. Er ist der Erstling der Entschlafenen. Durch einen Menschen ist der Tod gekommen. Durch einen Menschen kommt die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle dem Tod verfallen sind, so werden in Christus alle das Leben haben. Ein jeder, wenn er an die Reihe kommt. Christus macht den Anfang. Darauf kommen die, die zu Christus bei Seiner Wiederkunft gehören. Dann kommt das Ende, wenn Er Seine Königsherrschaft Gott dem Vater übergibt, nachdem Er zuvor alle andere Herrschaft, Macht und Gewalt zunichte gemacht hat. Er muss ja herrschen, bis Er alle Feinde unter Seine Füße gelegt hat.
Als letzter Feind wird der Tod vernichtet. Denn ‚alles hat Er Seinen Füßen unterworfen‘ (Psalm 8,7). Wenn es aber heißt: ‚Alles ist Ihm unterordnet‘, so ist natürlich der ausgenommen, der Ihm alles unterworfen hat. Wenn Ihm aber alles untergeordnet ist, wird sich auch der Sohn selbst dem unterwerfen, der Ihm alles unterstellt hat. Dann ist Gott alles in allem.“ (1 Kor 15,20-28.)
Maria durfte diesen eschatologischen, endzeitlich relevanten Weg gewissermaßen vorzeitig gehen und wird durch ihr Vorbild und ihre Fürbitte sicherlich auch uns den Weg dorthin bereiten!

P. Eugen Rissling

 

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